Die Bewahrung der Glaubwürdigkeit hat für die EZB derzeit oberste Priorität

18.01.2023

Aktuelle WIFO-Studie für das Europäische Parlament

Der jüngste Inflationsschub betraf die ganze Welt, aber im Gegensatz zu anderen großen Volkswirtschaften, wie z. B. die USA und Kanada, waren die Mitgliedsländer im Euro-Raum davon unterschiedlich stark betroffen. Eine so große Ausweitung der Streuung war bisher nur in den ersten Jahren der Währungsunion oder während der Finanzmarktkrise zu beobachten: Zwischen August und Oktober 2022 stieg die Inflationsrate im gesamten Euro-Raum auf 10,6% und die Bandbreite zwischen den Mitgliedsländern auf 18,6 Prozentpunkte.

Der Energiepreisanstieg deckte strukturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern der Währungsunion auf. Diese Unterschiede umfassen den Anteil importierter Energie an der Gesamtenergienachfrage, die Vertragseigenschaften zwischen Versorgungsunternehmen und ihren Kunden, die unterschiedliche Gewichtung von energieintensiven Gütern im Warenkorb und die fiskalpolitische Reaktion der nationalen Regierungen. Interessanterweise stieg die Inflationsrate in einigen Ländern mit einem hohen Anteil administrierter Preise im Verbraucherpreis stärker als im Durchschnitt (insbesondere wenn die administrierten Preise laut Eurostat auch die Haushaltsenergie enthalten wie z. B. in den Niederlanden und den baltischen Ländern).

Die Regierungen in den Ländern des Euro-Raumes reagierten auf die Belastung der privaten Haushalte durch höhere Energiepreise mit unterschiedlichen administrativen und steuerlichen Maßnahmen. Die Auswertung von 60 Interventionen, die in den letzten Monaten in 18 Mitgliedsländern des Euro-Raums durchgeführt wurden, zeigt ein einheitliches Muster: Länder mit niedriger Inflation setzten intensiv Maßnahmen zur Dämpfung des Verbraucherpreises ein, während sich Länder mit hoher Inflation sich auf eine Abfederung der Belastungen durch einkommensstützende Maßnahmen konzentrierten oder insgesamt zurückhaltender in ihrer Reaktion auf die Inflation verhielten.

Mögliche geldpolitische Reaktionen auf den Energiepreisschock sind eine andere Gewichtung der länderspezifischen Inflationsraten in der Berechnung des Euro-Durchschnittswertes, d. h. ein Abweichen von den herkömmlichen Ländergewichten entsprechend der wirtschaftlichen Größe. Alternativ können makroprudenzielle Maßnahmen gezielt auf Länderebene eingesetzt werden. Falls eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt, müsste die EZB zur Bewahrung ihrer Glaubwürdigkeit die Leitzinssätze rasch anheben.
 

Publikationen

Auftraggeber: Europäisches Parlament
Studie von: Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung – Hertie School gGmbH – Queen Mary University of London – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Online seit: 12.01.2023 0:00
The dispersion of inflation rates within the euro area tends to increase in times of very strong energy price increases. A small part of this divergence is due to fiscal policy measures implemented by member countries and aimed at dampening the energy price increase. The monetary policy response of an inflation-targeting central bank to adverse supply shocks depends on the nature of the shock (demand or supply driven, temporary or permanent) and on the credibility of the central bank's commitment to the inflation target.
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Mag. Dr. Josef Baumgartner

Forschungsgruppe: Makroökonomie und öffentliche Finanzen

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© Mika Baumeister/Unsplash
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